Stil ist nicht das Ende des Besens

Menschen können wirklich unerträglich sein. Wie Herr Seehofer zum Beispiel, der sich neulich freute, dass an seinem 69. Geburtstag 69 Menschen nach Afghanistan abgeschoben wurden – ohne dass er sich das gewünscht hätte. Diese Bemerkung sollten wir nicht als einen seiner danebengeglückten Scherze durchgehen lassen, denn sie ist ein guter Anlass zum Nachdenken über das C in CSU, über christliches Handeln und christliches Denken, also über die emotionale Seite des Umgangs mit Flucht, mit Asyl, mit Migration und mit Menschen.

Das Bild eines toten Kleinkindes, das vom Meer am Strand angespült wurde, gehört zu den einprägsamsten Bildern, die uns zeigen, was Flucht bedeutet. Menschen, die nichts mehr haben als das nackte Leben und selbst um das fürchten müssen, werden alles tun, um wenigstens eben dieses Leben zu retten. Eltern, die fürchten müssen, dass ihre Kinder in Kugelhagel oder Bombenexplosionen in tausend Stücke zerfetzt werden, greifen zu, wenn sie eine Chance sehen, diese Kinder in Sicherheit zu bringen – selbst wenn das bedeutet, dass sie diese Kinder auf ein Boot verfrachten, das man wirklich nur noch als Seelenverkäufer bezeichnen kann. Es gibt Situationen, in denen alles besser scheint, als dort zu bleiben, wo das Blut von den Wänden tropft.

In die Situation von Menschen, die wirklich alles aufgeben, um von da wegzukommen, wo sie sind, kann sich wohl niemand von uns versetzen. Zu satt sind wir, zu rund der Wohlstandsbauch, selbst bei denen, die sich selbst mit Fug und Recht als arm bezeichnen dürfen in diesem doch so sehr reichen Land. Das zu erfassen, was Menschen passiert, die lieber im offenen Meer ertrinken würden als dort zu bleiben, wo sie geboren wurden, wo alle ihre Sprache sprechen, wo die Familie lebt und die Verwandten, ist hier nur Menschen möglich, die inzwischen sehr alt sind.

Menschen, wie mein Vater, zum Beispiel, der im Alter von 14 Jahren „heim ins Reich“ geschickt wurde, auf Schusters Rappen, mit dem, was meine Großmutter und er tragen konnten, nachdem mein Großvater zusammen mit einem Großteil der übrigen Männer aus seiner Heimatstadt schlicht erschossen und verscharrt worden war. Mein Vater, der nun wirklich nicht progressiv genannt werden kann (und auch nicht progressiv sein muss), der sich selbst als Spießer bezeichnet, der sein Leben lang CDU oder CSU gewählt und befürwortet hat, der kann verstehen, was diese Kriegsflüchtlinge antreibt und er verurteilt das verantwortungslose Gehabe unserer Politiker scharf. Und ganz ehrlich: Die „Fluchtursache“ ist nicht Gewinnsucht. Es ist noch nicht einmal die so viel beschworene Hoffnung auf ein besseres Leben, nein.

Es ist die Hoffnung auf Überleben. Auf Weiterleben. Wie auch immer, egal, nur weg aus diesem Horror, weg von Tod, von Verstümmelung, von vollkommenem Wahnsinn. Das, meine Damen und Herren, das ist Flucht. Auch und gerade aus Afghanistan. Niemand wird aus Spaß an der Freud und auch nicht aus dem Wunsch nach einem besseren Leben heraus eben dieses Leben riskieren – dazu ist der Lebenserhaltungstrieb der Menschen einfach zu stark.

Wenn man sich das wirklich bewußt macht, wirklich hinsieht und vielleicht auch die Angst in den Augen eines alten Menschen sieht, die nach mehr als 70 Jahren immer noch präsent ist angesichts der Erinnerung, dann hat man eine Chance, einen Zipfel Erkenntnis zu erhaschen und den Ansatz einer Vorstellung dessen, was Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, durchmachen und was sie zu ihrer Entscheidung treibt.

Das ist kein Tourismus. Es gibt keine Reisebüros, in denen man Flucht buchen kann. Es gibt sicherlich Verbrecher, die sich an dieser Situation bereichern, ja. Die verzweifelten Menschen noch das letzte, was sie außer ihrem nackten Leben haben, aus den Knochen saugen. Das sind aber keine Reiseveranstalter, es sind Verbrecher. Die Menschen, die sich ihnen – meist völlig zu Unrecht – anvertrauen, sind keine fröhlichen, hawaiihemdtragenden Reisenden, die sich auf ein rostiges, unsicheres, dem Untergang geweihtes Kreuzfahrtschiff begeben, weil es da billiger ist.

Wenn Sie das begreifen, sind Sie schon sehr weit. Dann wird Ihnen die Ungeheuerlichkeit, der Zynismus, die Menschenverachtung des Wortes „Asyltourismus“ deutlich. Begreifen Sie bitte, dass es wirklich ums nackte Überleben geht, nicht etwa um eine nette Ausflugsfahrt.

Niemand bestreitet, dass diese Menschen, mit denen wir Erbarmen haben sollen und müssen, wenn wir uns Christen nennen möchten, ganz normale Menschen sind. Niemand bestreitet, dass unter diesen Menschen eben auch solche sind, die zu Verbrechen fähig sind und diese, sobald sie sich einmal erholt haben, auch begehen. Niemand bestreitet den vollkommen anderen Kulturkreis, die patriarchale Gesellschaftsordnung und den geringen Wert, der Frauen zugemessen wird. Und doch: Es sind Menschen, die ihr Leben retten möchten. Die trotz aller Unterschiede allein durch ihr Menschsein unser Erbarmen verdient haben. Die man nicht elend im Mittelmeer ersaufen lassen darf, noch nicht mal, um ein Exempel zu statuieren, nein, deswegen schon zweimal nicht.

Rache an Menschen zu üben, die nichts mehr haben, als ihr Leben, das ist nicht christlich und sich über diese Menschen lustig zu machen, das ist teuflisch. Ein Christ wird sich um diese Leute kümmern, ihnen helfen, sich zurechtzufinden. Nichts anderes erwarte ich von den Mitgliedern meiner Regierung. Was ich sehe, entbehrt jeder Vorbildwirkung, im Gegenteil, das ist abschreckend und zynisch.

Erbarmen vorzuleben bedeutet nicht, alles zuzulassen. Es bedeutet nicht, den Ankommenden eine riesige Geburtstagsfete zu schmeißen. Es bedeutet, dass man sich kümmert. Dass man sie ankommen lässt, dass man Wunden heilt, dass man ihnen auf den Weg hilft, dass man sie ertüchtigt, sich selbst zu helfen. Es bedeutet auch, die kulturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen zu vermitteln. Es bedeutet nicht mehr und nicht weniger als das, was man für jeden Menschen tun würde, der sich nicht selbst helfen kann – egal, ob er sich selbst in die Situation gebracht hat oder nicht. Nächstenliebe ist tatsächlich helfen ohne zu fragen.

Ihnen erscheint mein Post zu emotional? Zu predigthaft? Mag sein. Ich habe in diesen Artikel einfach hineingepackt, was mir in der aktuellen „Debatte“ fehlt. In dieser Debatte, in der Menschen wie Dinge behandelt werden, in der Menschen tatsächlich weniger Würde zugebilligt wird als Schlachtvieh. Mir ist wichtig, dass wir alle uns sehr klar machen, dass wir es hier mit Menschen zu tun haben. Sicher nicht mit Heiligen, aber auch nicht mit Fressrobotern, die uns alle unterbuttern werden.

Ich möchte am Liebsten Frau Merkel bitten, Herrn Seehofer in den Ruhestand zu schicken. Ich wünsche mir von Herzen, dass die CSU, als Partei, die von den Herren Seehofer, Söder, Dobrindt, Scheuer, Herrmann und Friedrich nach außen vertreten wird, bei der Landtagswahl im September die wohl verdiente Quittung für dieses unmenschliche, erbarmungslose und vor allem unchristliche Verhalten bekommt. Ich wünsche mir Parteien im Landtag, deren Politiker des Mitfühlens und des Erbarmens fähig sind, die Augenmaß beweisen und die tun, was notwendig ist anstatt ihren Wählern Nebelkerzen aus „Asyltourismus“ und Abschiebung vor die Füße zu werfen.

So, und wenn jetzt alle wieder des Fühlens (vielleicht sogar des Mit-Fühlens) fähig sind, können wir ja wieder die sachliche Debatte aufnehmen und uns um Lösungen kümmern, die nicht den Tod von Menschen zur Folge haben. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.

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