Welttag der Sozialen Gerechtigkeit

2009 haben die Vereinten Nationen den Welttag der Sozialen Gerechtigkeit eingeführt; er soll an das Leitbild der sozialen Gerechtigkeit der Gemeinschaften erinnern, nach dem die Verteilung der Güter den vorherrschenden ethischen Prinzipien entspricht. Vorgestern war es mal wieder so weit und irgendwie scheint das untergegangen zu sein. Hier dann also ein paar Gedanken dazu.

Die gute Frage ist, was soziale Gerechtigkeit denn so eigentlich ist, vor allem, wenn man sie weltweit betrachtet. Es gibt so viele Unterschiede, so viele verschiedene Ansichten darüber, was Gesellschaft ist und was Gerechtigkeit. Wenn wir uns US-amerikanische Krimis ansehen, dann kann Gerechtigkeit durchaus den Tod bedeuten – vor allem den derer, die vorher das Leben anderer genommen haben. Bringt die Todesstrafe aber wirklich Gerechtigkeit? Ich bezweifle das. Oder die indigenen Völker Amerikas: Welche Gerechtigkeit widerfährt denen? Sie haben vollkommen andere Vorstellungen von dem, was Gesellschaft ist, wie Zusammenleben funktioniert – und auch davon, was gerecht ist. Dafür wurden sie von der Entdeckung Amerikas an belogen, betrogen und ermordet. Sie wurden „bekehrt“, damit der christliche Glaube sie Demut lehre und dafür sorge, dass sie anerkennen, dass das Land in kleine Häppchen aufgeteilt und einzelnen Menschen als Eigentum zugesprochen werden kann. Ein Konzept, das ihrer Kultur vollkommen fremd war. Ebenso die Seßhaftigkeit, denn die Mehrheit der indigenen Völker waren Nomaden.

Die asiatische Kultur, je nach Zeitalter und Standort, ist uns hier im Westen fremd, so manches erscheint uns hoch kultiviert, anderes wieder barbarisch. Die Wurzel, aus der die heutige chinesische Regierung entspringt, ist genau diese, auch wenn wir das nicht anerkennen wollen. Die totale Überwachung der Menschen dort, das Vergeben von Punkten für Wohlverhalten mag dem einen Freiheit, dem anderen eine Fessel bedeuten.

Wir, der „Westen“, die wir uns hoch zivilisiert wähnen, leben auf Kosten derer, deren Arbeitskraft wir besonders billig bekommen können – für Fünf-Euro-T-Shirts und billige Leberwurst. Was also wäre soziale Gerechtigkeit?

Ich halte es da mit Friedrich dem Großen, auch wenn der mit dem folgenden Zitat „nur“ auf Religionsfreiheit abzielte:

In meinem Staate kann jeder nach seiner Façon selig werden.

In meinen Augen lässt sich das ganz gut auf alle Lebensbereiche ausdehenen. Jeder sollte und kann seine Kultur pflegen – solange er die anderen nicht einschränkt. Jeder sollte und kann seine Religion ausüben – solange er nicht anderen diese Religion aufoktroyiert. Jeder sollte und kann er selbst sein – solange er nicht anderen vorschreibt, so zu sein wie er.

Bei der Vielfalt an Kulturen, Religionen, Lebensentwürfen, Vorstellungen von Glück wird es schwierig, soziale Gerechtigkeit zu erreichen – es sei denn, wir würden tatsächliche Toleranz lernen. Mehrheiten, die einfach aushalten und anerkennen, dass es Minderheiten gibt; und umgekehrt. Dazu müssen wir zuvorderst lernen, nicht alles als „Haß“ zu bezeichnen, was eigentlich Unverständnis ist oder auch eine Grenze, die der Betreffende nicht zu überschreiten bereit ist. Wir müssen lernen, unsere Empörung auf ein sozialverträgliches Maß herunterzukochen und Entscheidungen zu treffen.

Oft genug passiert es, dass wir Gerechtigkeit mit anderen Dingen verwechseln: Wirtschaftlicher Status ist da ein gutes Beispiel. Ist es sozial gerecht, wenn wir einem afrikanischen Bauern denselben wirtschaftlichen Status wünschen wie uns selbst? Oder ist nicht etwa der Wunsch nach einem entbehrungslosen, zufriedenen Leben für diesen Bauern näher an sozialer Gerechtigkeit? Reichtum ist auf der einen Seite nicht alles, auf der anderen Definitionssache. Reichtum kann es auch sein, genug zum Leben zu haben und gleichzeitig das Leben genießen zu können. Dazu muss man nicht zweimal jährlich in Urlaub fahren, jedes Wochenende in die Disco (Verzeihung: in den Club) gehen und auch nicht jeden Tag ein deftiges Fleischgericht zu sich nehmen. Auskommen mit dem Einkommen, das tun zu können, was man tun möchte, mit den Menschen Zeit zu verbringen, die man liebt.

Aber einfach mal zurück in unser Land: Ist es gerecht, wenn die einen sich dem Kunstgenuss (inklusive Champagner) in der Elbphilharmonie hingeben und die anderen so wenig haben, dass sie noch nicht mal eine eigene Wohnung bezahlen können? Ist es gerecht, dass Eltern jeden Monat das Kleingeld abzählen müssen, damit ihr Kind zweimal im Monat schwimmen gehen kann? Sicher nicht.

Soziale Gerechtigkeit lässt sich meiner Ansicht nach nur räumlich begrenzt erreichen. Dazu sind die Wünsche und die Sehnsüchte der Menschen weltweit viel zu unterschiedlich. Es ist ehrenvoll, sich dafür einzusetzen, dass wir in unseren „zivilisierten“ Ländern für die Zwiebeln und den Kaffee genug bezahlen, um soziale Gerechtigkeit in den Herstellerländern zu ermöglichen. Wichtig ist, dass wir uns hier darum kümmern, dass die Menschen vor Ort soziale Gerechtigkeit erfahren – und das nicht nur wirtschaftlich. Zur Teilhabe an der Gesellschaft gehört die Anerkennung des Menschen so, wie er ist. Und das ist verdammt schwer, wenn uns andere Menschen fremd sind, sie anders reagieren als wir und sie anders aussehen als wir. Diese Unterschiede zu sehen und anzuerkennen ohne zu urteilen, das ist es, was wir zunächst anstreben sollten. Das ist meine Meinung. Die muss niemand teilen. Aber sagen muss ich sie jederzeit dürfen.

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