Adipositas und Diabetesmedikamente

Bauch eines übergewichtigen Menschen

Letzten Sonntag habe ich aus Frustration und Enttäuschung einen Artikel geschrieben, in dem ich dafür plädiert habe, GLP-1-Rezptoragonisten doch bitte für Leute zu reservieren, die sie wirklich brauchen: Diabetiker und stark Übergewichtige. Zu diesem Plädoyer stehe ich durchaus weiterhin. Andererseits ist mir, während ich das alles schrieb, ein Aspekt untergegangen, der Übergewichtigen wirklich zu schaffen macht: Das soziale Stigma und die Tatsache, dass ich gerade deswegen durchaus großes Verständnis für die Off-Label-Verwendung der Medikamente habe. Also denke ich, dass es an der Zeit ist, über Adipositas (krankhaftes Übergewicht) zu sprechen.

Dicke Menschen haben den Ruf, disziplinlos zu sein. Da haben sie durchaus etwas gemeinsam mit Depressiven. Und nachdem ich durchaus übergewichtig bin, an einer chronischen Depression leide, Diabetes und dazu noch Gicht habe (das auch so eine Stoffwechselerkrankung ist, die demjenigen zugeschrieben wird, der sie hat), kenne ich die dämlichen Sprüche, die man da hört, nur allzu gut:

„Du musst dich doch nur vernünftig ernähren, dann nimmst du schon ab.“
„Beweg dich halt mehr, dann wird das schon!“

Solches und Ähnliches hören Übergewichtige oft – auch von ihren Ärzten. Man braucht Disziplin, man muss an sich arbeiten. Dass die Anstrengung dazu oft genug fast übermenschlich ist, ist denen, die dies alles sagen, mindestens unklar.

Übergewicht ist eine komplexe Erkrankung, die oft mit anderen Krankheiten Hand in Hand geht (sowohl Depression als auch Diabetes gehören dazu). Ich verstehe gut, dass dann „Abnehmspritzen“ eine erfolgversprechende Lösung darstellen. Eine ausführliche Darstellung des Problems insgesamt und auch einen kritischen, dabei aber wohlwollenden Blick auf die Erkrankung Adipositas habe ich bei Eckart von Hirschhausen; auf YouTube gefunden. Hier wird auch ein breiter Blick geworfen auf die neurologischen Hintergründe, die es Übergewichtigen wirklich richtig schwer machen, auf die Vorurteile gegenüber Dicken und auch auf die Vor- und Nachteile der Nutzung von GLP-1-Rezptoragonisten zur Unterstützung der Gewichtsreduktion. Ich denke, dass dieser 45-minütige Beitrag gut helfen kann bei der Einordnung der Erkrankung Übergewicht und hoffe, dass das auch hilft, meinen letzten Beitrag, der ja wirklich zum Teil aus der Frustration geboren wurde, die darauf folgte, dass ich das Medikament, das ich wirklich eigentlich brauche, nicht bekommen kann, ein wenig besser einzuordnen.

Bitte, seid mit Übergewichtigen nicht ungeduldig. Verurteilt sie nicht, denn die Erkrankung ist deutlich komplexer als man sich das so vorstellt – und Vorwürfe oder „mach doch einfach mal was anders“ helfen da nicht. Übergewichtige unterstützt man am Besten mit Verständnis. Es hilft auch, zu fragen, womit man helfen kann. Manchmal reicht es ja schon, einfach mal bei einem Spaziergang oder ins Schwimmbad zu begleiten, damit der vom Übergewicht geplagte Mensch nicht allein vor die Tür und sich damit den be- und verurteilenden Blicken der Mitmenschen aussetzen muss.

Diabetesmedikamente, Lieferengpässe und Off-Label-Verwendung

Eine Spritze und Geräte zur Blutzuckermessung

Ich habe Diabetes mellitus Typ 2. Früher nannte man das Altersdiabetes, heutzutage kommt diese Erkrankung immer häufiger auch bei jüngeren Menschen vor. Damit bin ich laut deutscher Diabetes-Gesellschaft eine von mehr als 8 Millionen Deutschen, die daran erkrankt sind. Üblicherweise ist die Ursache eine Kombination aus erblicher Veranlagung (an dieser Stelle danke ich meinen beiden Großmüttern, die mir dieses Erbe hinterlassen haben) und Unvernunft (ungesunde Ernährung, Bewegungsmangel, da bin ich schuldig in beiden Anklagepunkten).

In den entsprechenden Fachkreisen wird auch ein gewisser Zusammenhang zwischen Depression und Diabetes diskutiert; es ist wohl derzeit die Ansicht vorherrschend, dass der Diabetes die Depression nach sich zieht, weil ja doch einige Anpassung an Tagesablauf, Ernährungsgewohnheiten und alltägliche Verhaltensweisen notwendig sind. Es könnte durchaus auch umgekehrt sein – die Depression macht hungrig und lustlos, folglich isst man vieles, was man nicht essen sollte (und auch in Mengen die nicht förderlich sind) und bewegt sich nicht oder nur wenig – wenn dann die Veranlagung auch noch dabei ist, ist die Erkrankung nicht weit weg. Ich als Diabetiker hadere jedenfalls hier und da etwas mit meinem Schicksal, wenn ich Menschen sehe, die stark übergewichtig sind, ansonsten aber gesund und munter wie ein Fisch im Wasser.

Um den Diabetes zu behandeln gibt es Medikamente. Das erste Medikament, das zum Einsatz kommt, ist üblicherweise Metformin, das den Blutzuckerspiegel senkt; der Wirkmechanismus ist im Link beschrieben. Metformin ist dankenswerterweise ein Medikament, das schon sehr lange im Einsatz ist, von daher ist es preiswert, es gibt viele Generika und deshalb ist es eigentlich immer verfügbar.

Bei neueren Medikamenten sieht das anders aus. Die GLP-1-Rezeptoragonisten sind recht neu, ziemlich teuer und nicht nur zur Diabetesbehandlung ausgesprochen beliebt. Und genau das ist der Grund, aus dem ich mich heute hinsetze und diesen Artikel schreibe, denn mein Arzt hat mir bisher ein Medikament aus dieser Gruppe verschrieben, das den Wirkstoff Dulaglutid enthält.

Eine off-label-Verwendung, für die diese Medikamente oft verschrieben werden, ist die Gewichtsreduktion. Gerade in den USA ist für Menschen, die abnehmen möchten, das Medikament Ozempic (Wirkstoff: Semaglutid) der letzte Schrei. In Deutschland kann das für diese Indikation verschrieben werden, wenn der Patient das selbst bezahlt – und das geht schnell ins Geld, denn in der Regel übernehmen die Krankenkassen die Kosten nicht und im März 2024 hat der gemeinsame Bundesausschuss den Verordnungsausschluss für Wegovy (Semaglutid) für die Gewichtsreduktion beschlossen. Meiner Ansicht nach ein richtiger Schritt, denn das Medikament ist derzeit praktisch nicht lieferbar.

Dulaglutid, das in dieselbe Kategorie fällt wie Semaglutid, ist schon seit Januar praktisch nicht mehr lieferbar, es gibt Wartelisten für Patienten, die das Medikament benötigen. Ich stand satte drei Monate auf der Warteliste, ohne dass ich das Medikament bekommen hätte. Deswegen hat mir mein Diabetologe nun Sitagliptin, das in Form von Tabletten kommt, verschrieben. Anderer Wirkstoff, andere Wirkweise, andere mögliche Nebenwirkungen, von denen ich hoffe, dass keine eintreten. Und das kann’s nun echt nicht sein, Freunde!

Die GLP-1-Rezeptoragonisten sind für Diabetiker wichtige, notwendige Medikamente; für stark übergewichtige Menschen, denen eine Diabeteserkrankung droht, verstehe ich die Verschreibung sicher auch. Aber wenn ich in der Apotheke stehe, meine Medikamente abhole und eine offensichtlich völlig normalgewichtige Dame mit ihrem Rezept für Ozempic hereingestürmt kommt und die letzte Packung abstaubt, die die Apotheke vorrätig hat, dann hört mein Verständnis wirklich auf. Für Leute, die ein paar Kilo abnehmen möchten, gibt es wirklich andere Möglichkeiten. Deshalb richte ich heute eine dringende Bitte an Ärzte und Patienten:

Bitte, liebe Ärzte, verordnen Sie diese Medikamentengruppe ausschließlich an die Leute, die diese Medikamente wirklich brauchen: Diabetiker und stark Übergewichtige!

Bitte, liebe gewichtsreduktionswillige Patienten mit wenig Übergewicht: Suchen Sie sich andere Wege, ihr Gewicht zu reduzieren!

Wir, die Diabetiker, brauchen diese Medikamente, um unseren Blutzuckerspiegel in Schach zu halten und über einen längeren Zeitraum nicht auf Insulin angewiesen zu sein! Uns drohen bei Entgleisung des Blutzuckerspiegels üble Begleit- und Folgeerkrankungen. Sicher, es gibt Alternativen zu den GLP-1-Rezeptoragonisten – aber diejenigen, die diese Medikamente nötig haben, sollten sie bekommen können und nicht auf Alternativmedikamente ausweichen müssen.