Hoffentlich ist das jetzt Depp gegen Heard zum Letzen. Aber ich fasse das noch einmal zusammen, einerseits um einige Gedanken, die mir am Rande gekommen sind zu ordnen, andererseits, weil ich weiß, was jetzt wieder kommt. Der Anlaß: Amber Heard und Johnny Depp haben einen Vergleich geschlossen. Was heißt das jetzt im Einzelnen?
Vom 11. April bis zum 1. Juni 2022 lief in Virginia der Verleumdungsprozess von Johnny Depp gegen seine Ex-Ehefrau Amber Heard. Sie hatte in der Washington Post, die in Virginia ihre Büros und ihre Webserver hat, eine Kolumne geschrieben, Johnny Depp war der Ansicht, dass diese Kolumne verleumderisch war. Im Einzelnen ging es um folgende Aussagen in dem Artikel:
Amber Heard: I spoke up against sexual violence – and faced our culture’s wrath. That has to change.
(Amber Heard: Ich habe mich gegen sexuelle Gewalt eingesetzt – und war mit dem Zorn unserer Kultur konfrontiert. Das muss sich ändern.)Then two years ago, I became a public figure representing domestic abuse, and I felt the full force of our culture’s wrath for women who speak out.
(Dann vor zwei Jahren wurde ich eine Person der Öffentlichkeit, die häusliche Gewalt repräsentierte und bekam die volle Macht des Zorns unserer Kultur gegenüber Frauen, die sich äußern zu spüren.)I had the rare vantage point of seeing, in real time, how institutions protect men accused of abuse.
(Ich hatte den seltenen Blickwinkel in Echtzeit sehen zu können, wie Institutionen Männer schützen, die des Mißbrauchs beschuldigt werden.)
Amber Heard ist – zumindest in den USA – durchaus für ihren Einsatz gegen Gewalt gegenüber Frauen bekannt. Insofern wird der unbedarfte Leser sich bei diesen Aussagen wenig denken. Es ist aber deutlich komplizierter.
Die Klage wirft Amber Heard vor, mit den oben zitierten Aussagen, Johnny Depp verleumdet zu haben. In den Vereinigten Staaten ist so eine Verleumdungsklage gegen eine Person des öffentlichen Interesses mit einer etwas höheren Hürde versehen als eine Klage, die Herr Schmidt gegen Herrn Müller führt. Die Klagepartei muss nachweisen, dass die beklagte Partei mindestens ignoriert hat, dass die von ihr getätigte Aussage unwahr ist. Das nennt sich dann „actual malice“, hat aber tatsächlich mit Boshaftigkeit wenig zu tun, leichtfertige Missachtung der Wahrheit (reckless disregard) oder simples nachweisliches Lügen ist damit gemeint.
Das könnte man jetzt relativ schnell abfrühstücken, wenn da nicht zunächst nachgewiesen werden müsste, wer denn in dieser Ehe gewalttätig war. Dazu gab es haufenweise Zeugen, teils ging es doch etwas bizarr im Gerichtssaal zu. Die Aufzeichnung des gesamten Prozesses kann auf YouTube auf diversen Kanälen mit und ohne Kommentar bestaunt werden.
Amber Heard argumentierte, dass sie ja Johnny Depp gar nicht gemeint habe. Es habe sich um allgemeine Gedanken zum Thema gehandelt. Dagegen steht ihre eigene Aussage während des Prozesses im Rahmen ihrer Gegenklage (ja, darauf gehe ich dann auch noch ein, bitte warten!):
I know how many people will come out and say whatever for him. That’s his power. That’s why I wrote this op-ed. I was speaking to that phenomenon. How many people will come out in support of him and will fall to his power. He is a very powerful man […]
(Ich weiß, wie viele Leute auftauchen und was auch immer für ihn sagen. Das ist seine Macht. Deswegen habe ich diese Kolumne geschrieben. Ich habe über dieses Phänomen gesprochen. Wie viele Leute auftauchen, um ihn zu unterstützen und seiner Macht verfallen. Er ist ein sehr mächtiger Mann […])
Siehe: YouTube, Law&Crime Network, „Camille Vasquez Cross-Examines Amber Heard in Her Rebuttal Case“
Das könnte man theoretisch als eine Art betrachten, einen speziellen Fall zu verallgemeinern. Andererseits war dieses Statement kurz vor Ende des Kreuzverhörs nicht wirklich notwendig und im Zusammenhang mit dem gesamten Kreuzverhör wird es doch einigermaßen kritisch.
Sie hat diesen Prozess mit fliegenden Fahnen verloren. Die Jury hat Johnny Depp in allen Punkten recht gegeben und ihm zehn Millionen US$ Schadenersatz und dann noch einmal fünf Millionen an Strafzahlung zugesprochen (letzere wurden dann gedeckelt auf 350.000 US$, weil das Recht in Virginia das so vorsieht).
Die Gegenklage von Amber Heard gegen Johnny Depp bestand in drei Äußerungen seines Anwalts Adam Waldman, die der im Rahmen des Verleumdungsprozesses gegen die Boulevardzeitschrift „Sun“ und den Verleger News Group Newspapers Ltd. in Großbritannien getätigt hatte. Ich gehe hier nicht im Einzelnen auf die Äußerungen von Adam Waldman ein; Amber Heard wurden zwei Millionen US$ Schadenersatz zugesprochen, weil Waldman gesagt hatte, sie und ihre Freunde hätten in einem Fall die Polizei an der Nase herumgeführt (das ist jetzt etwas frei formuliert, aber insgesamt war das der Inhalt; das kann man nachlesen bzw. auf YouTube ansehen).
Das ist dann mal so kurz und knapp das, worum es ging. Amber Heard hat gegen dieses Urteil Berufung eingelegt, kurz darauf Johnny Depp gegen das seine auch.
Es wurden Anträge geschrieben und Antworten auf die Anträge, es gab „amicus briefs“ von feministischen Organisationen, die das Urteil gegen Amber Heard nicht hinnehmen wollten, weil sie der Ansicht waren, dass das Frauen, die Gewalt erfahren haben, davon abhalten könnte, dies anzuzeigen. Seit dem 1. Juni wird fleißig beantragt und im Internet natürlich ebenso fleißig diskutiert. Alle waren der Ansicht, dass das Berufungsgericht sich frühestens im ersten Quartal 2023 mit der Sache befassen würde und jetzt das: Ein Vergleich. Das fühlt sich für alle, die diesen Prozess verfolgt haben, jetzt an wie ein in voller Fahrt gebremster ICE.
Die interessierte Frage ist: Warum? Warum jetzt? Und warum diese Konditionen? Da befinden wir uns im Spekulationsraum. Möglicherweise hat Amber Heards Versicherung die Notbremse gezogen (sie hat zwei, die eine klagt gegen die andere, die andere gegen Amber Heard, denn niemand möchte die Prozesskosten tragen). Das klingt wahrscheinlich, denn die Prozesskosten waren mit Sicherheit astronomisch und den Dokumenten zufolge, die die Versicherungen bezüglich ihrer Klagen eingereicht haben, gab es da wohl auch einiges, was nicht ganz vertragskonform war. Vielleicht hat sie auch einfach keinen Nerv mehr oder es wird ihr eventuell einfach zu gefährlich. Man weiß es nicht.
Johnny Depp hat von vornherein gesagt, dass es ihm nicht ums Geld ginge, sondern um seinen Ruf. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass er irgendein Interesse daran haben sollte, Amber Heards Leben vollständig zu zerstören. Insofern kann ich mir seine Gründe für den Vergleich gut vorstellen.
Aber man merke auf: Dieser Vergleich bezieht sich nicht auf das Ergebnis des Prozesses! Nach wie vor steht Folgendes: Amber Heard wurde der Verleumdung für schuldig befunden, die Jury hat es aufgrund der Beweislage als erwiesen angesehen, dass ihre Anschuldigungen gegen Johnny Depp nicht der Wahrheit entsprechen. Auf der anderen Seite bleibt stehen, dass Johnny Depp weiter für die in der Presse veröffentlichten Äußerungen seines Anwalts verantwortlich ist.
Das Statement, das Amber Heard zu diesem Vergleich veröffentlicht hat, kann man kritisch sehen; ich persönlich finde, dass es zeigt, dass sie nichts aus diesem Prozess gelernt hat, aber das bin ich, andere Leute mögen das anders sehen.
Weswegen ich das hier noch einmal aufschreibe? Ganz einfach: Ich habe diese Angelegenheit recht lange verfolgt, weil ich irgendwann man darüber gestolpert bin (YouTube, halt) und dann angefangen habe, nach Informationen zu suchen, die die Schilderungen von Amber Heard bestätigen (ich habe keine gefunden, aber das nur am Rande). So habe ich ein ganz gutes Gefühl dafür bekommen, was die Boulevardpresse (und die Boulevardsendungen) daraus machen werden. Und da hätte ich einfach ganz gerne etwas, was ich in Kommentaren oder auf Twitter verlinken kann.
Ich hoffe, dass dieser Text informativ ist und tatsächlich hilft, das eine oder andere Gerücht zu widerlegen. Vielleicht schreibe ich auch noch ein bisschen was zu den Nebenpfaden dieser sehr langen Geschichte auf. Wir werden sehen.