Es gibt ja nun nicht mehr so viele Leute, die sich daran erinnern, wie es damals war, als die Angst vor AIDS ihren Anfang nahm. Ich muss so um die 10 Jahre alt gewesen sein, als das Thema in mein Bewußtsein drang. An die Schlagzeilen kann ich mich noch gut erinnern. In der Luft lag die Angst vor dem jüngsten Gericht, Hilflosigkeit, Wut und so viele Nuancen dazwischen. AIDS hatte für die Menschen damals den Vorteil, dass es Schuldige gab, die auch rasend schnell ausgemacht waren. Ich brauche nicht darauf einzugehen wer, das wissen wir, glaube ich, alle. Die Erkenntnis, dass es dann doch nicht ganz so einfach ist, hat einen langen, beschwerlichen und sehr, sehr schmerzvollen Lernprozess gebraucht, der bis heute noch nicht wirklich abgeschlossen ist.
Jetzt, nach AIDS, BSE, Vogelgrippe, Schweinepest und was weiß ich noch alles, jetzt ist er da, der Erreger, der uns alle angreift. Es gibt keine Ausnahmen mehr. Sicher, es gibt Risikogruppen, die gefährdeter sind als das Gros der Bevölkerung: Alte Menschen, Diabetiker, Lungenkranke, Menschen mit einem geschwächten Immunsystem… Die sind als erste dran. Aber erwischen kann es diesmal wirklich jeden, keine Ausnahmen mehr.
Das ist schwer zu greifen, denn selbst 100.000 Menschen von 80 Millionen fallen uns nicht wirklich auf, solange wir selbst gesund und munter sind und nicht ins Krankenhaus müssen. Solange niemand ernstlich erkrankt – Corona oder nicht. Wenn die Intensivstationen voller Infizierter sind, wird es auch für die Herzinfarktpatienten eng, es wird für Menschen mit anderen Infektionen extrem schwer. Es wird das Personal in den OPs fehlen, es werden Krankenschwestern und -pfleger fehlen, es werden Menschen sterben, weil nicht genug Leute da sind, die sich um ihre Genesung kümmern. Das ist alles bekannt, seit Wochen, ich erzähle nichts Neues. Und trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die nicht einsehen, dass sie auf ihre Bewegungsfreiheit, auf Veranstaltungen, auf den Abend in der Kneipe verzichten sollen.
Schüler sehen die Schließung der Schulen als „Corona-Ferien“ an, auch hier bei mir in der Nachbarschaft war Party. Nein, natürlich nicht alle Schüler – aber genügend, als dass es gefährlich werden kann. Von Massenhysterie ist die Rede, von Panikmache. Gut, ich bin sicher keine Virologin. Ich habe aber lange genug Umgang mit den Menschen in diesem Gesundheitssystem gehabt, um eines wirklich zu wissen:
Es gibt kein Heilmittel gegen Viren!
Deswegen bitten uns Menschen, von denen wir es nicht erwartet hätten, schon fast auf Knien rutschend um Vernunft. Darum, zuhause zu bleiben. Darum, auf Partys zu verzichten. Darum, Menschenansammlungen zu meiden.
Einen Virusinfekt, egal wie leicht oder schwer, muss man durchstehen. In meiner Kindheit hieß es „drei Tag‘ kommt er, drei Tag‘ steht er, drei Tag‘ geht er“. Gemeint war der Schnupfen. Es gibt Medikamente, die eventuell die Symptome lindern, die Erkrankung selbst muss der Körper bekämpfen.Und das kann bei schweren Infekten eben auch mal nicht gelingen und dann tödlich enden.
Deswegen werden jetzt unsere elementarsten Rechte eingeschränkt. Ob da mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird, kann niemand wissen. Die Prognosen der Virologen sind düster, aber eines ist sicher: Wenn mich niemand anhustet, kann ich mich auch nicht anstrecken und ich kann den Infekt nicht weitertragen. Ob die Maßnahmen, die unsere Politiker jetzt ergreifen, überzogen sind, mag ich nicht fragen. Wonach ich frage, das ist die Intention. Und da bin ich sehr überzeugt, dass in diesem besonderen Fall mal tatsächlich keine Ruchlosigkeit dahintersteckt.
Ich halte es in diesem speziellen Fall für sinnvoll, den Menschen vorzuschreiben, dass sie zuhause bleiben sollen. Ich halte das Aussetzen des Versammlungsrechts für gerechtfertigt, weil es für alle gilt. Das Einsperren nur von Risikogruppen würde ich heute genauso ablehnen wie ich es zu Zeiten von AIDS abgelehnt habe.
Wichtig ist jetzt, dass wir jetzt dem gemeinsamen Feind möglichst keine Angriffsfläche bieten. Und dieser Feind ist nicht „die Politik“, nicht „die Wirtschaft“ auch nicht der Nachbar, der hustet und die Frau im Bus, die niesen muss. Der Feind ist das Virus. Und den bekämpfen wir am Besten, wenn wir zuhause bleiben. Wenn zu viele Menschen das nicht einsehen, dann eben gezwungenermaßen.
Das Beitragsbild entstammt meiner Lieblingsquelle, Pixabay. Der Fotograf ist Gert Altmann.