Reden wir über Grundrechte

Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland sind verschiedene Grundrechte verankert. Dazu gehören die in diesem Zusammenhang wichtigen Rechte auf

Es gibt einen weiteren Rechtsgrundsatz, der in einer Demokratie grundlegend wichtig ist, weil es ohne diesen Rechtsgrundsatz keinen Rechtsstaat geben kann: Die Unschuldsvermutung.

Diese Rechte und Prinzipien wischt der Innenminister der Bundesrepublik Deutschland, Herr Dr. Hans-Peter Friedrich, jetzt zugunsten eines von ihm so genannten „Supergrundrechts“ vom Tisch – nämlich des „Supergrundrechts auf Sicherheit“, wie die „Welt“ berichtet[1].

Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ein Doktor der Rechtswissenschaften entblödet sich nicht, wahrhaftig ein „Supergrundrecht“ zu definieren, das er über die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland definierten Grundrechte stellt. Von eigenen Gnaden, wie es scheint.

Es gibt kein Supergrundrecht. Es gibt kein Recht, das über dem Grundgesetz steht. Herr Dr. Friedrich stellt mit dieser Aussage Geheimdienste über das Recht, das uns allen im Grundgesetz zugesichert wird. Das ist eine derartige Ungeheuerlichkeit, dass es mir den Atem verschlagen hat!

Wohin ein Superminister ein Land mit solchen Superrechten führen kann, haben gerade wir in Deutschland gesehen. Gerade die Deutschen sollten wissen, wie gefährlich das Spiel ist, das unser Bundesinnenminister hier spielt, wie schnell dieses „Supergrundrecht“ dazu führen kann, dass Millionen von Menschen in einer Art riesigem Käfig gefangen sind, wie leicht es passieren kann, dass dieses „Supergrundrecht“ dafür benutzt wird, bestimmten Menschen, die nichts tun als ihre Grundrechte – beispielsweise auf freie Religionsausübung – wahrnehmen, die Freiheit, die Selbstbestimmung, ja sogar das Leben zu nehmen. Das können gerade wir in Deutschland nicht wollen!

Es gibt kein „Supergrundrecht“, genausowenig wie es „Superstars“, „Supermodels“ oder „Superminister“ gibt. Die Vorsilbe „Super-“ soll den Eindruck erwecken, dass etwas ganz besonders groß oder wichtig sei. Es gibt nichts, was in der Gesellschaft größer und wichtiger ist als die Grundrechte jedes einzelnen Bürgers!

Ich fordere Herrn Dr. Friedrich auf, endlich zu begreifen, dass er für die Gesellschaft nichts anderes ist als ein Primus inter Pares, einer, der durch Wahl und Auftrag der Gesellschaft dient und ihre Interessen zu schützen hat, indem er dafür sorgt, dass jeder Mensch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland die Grundrechte gewährt bekommt und dass Ermittlungsbehörden – auch Geheimdienste – sich an den gesetzlichen Rahmen halten, dem wir alle unterliegen. Das ist die ureigene Aufgabe des Bundesinnenministers, nichts anderes.

Wenn nun ein anderer Staat hingeht und Menschen, die sich im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, massenhaft und anlaßlos ausspioniert, dann erwarte ich vom Bundesinnenminister, von der Kanzlerin und vom Bundesaußenminister, dass das zumindest entsprechend gerügt wird und für Abhilfe gesorgt wird, selbst wenn es sich bei diesem anderen Staat um die Vereinigten Staaten von Amerika handelt. Verhandlungen über erweiterte Zusammenarbeit und die Definition eines „Supergrundrechts“ sind in keinem Fall eine angemessene Reaktion eines souveränen Staates.

[1] Bedauerlicherweise gehört die „Welt“ zu den Verlagen, die das Leistungsschutzrecht unterstützen, weswegen hier nicht direkt verlinkt werden kann. Für diejenigen, die den Artikel gern lesen möchten, kommt der URL hier zum Kopieren: http://www.welt.de/politik/deutschland/article118110002/Friedrich-erklaert-Sicherheit-zum-Supergrundrecht.html

Reden wir über Edward Snowden

Edward Snowden hat für die NSA gearbeitet. Er hat dort Dinge getan, die er mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbaren konnte. Er wollte, dass die Welt erfährt, was da passiert, in was für einem unglaublichen Umfang Menschen überwacht werden. Deswegen hat er seine Heimat, seine Familie, sein Gehalt – seine gesamte Existenz aufgegeben. Das macht ihn zum Feind der Behörde – und auch zum Feind der westlichen Regierungen, deren Glaubwürdigkeit durch seine Enthüllungen bis ins Mark erschüttert wird.

Nun passiert, was immer passiert: Es werden Nebelkerzen geworfen. Der Versuch, die Glaubwürdigkeit dieses Mannes zu erschüttern, ist in vollem Gange und zeigt auch schon erste Wirkung. Ergebnis sind Äußerungen wie beispielsweise die von Elmar Theveßen bei Lanz, ich zitiere:

Mein Urteil über Ed Snowden ist noch nicht gefallen, weil wir wissen noch nicht genug, wir wissen nicht, warum es so einfach für ihn war. Ich meine, in einer Abhöreinrichtung einen USB-Stick reinzustecken, alles runterzuladen, mitzunehmen, zu verschwinden, zu sagen, er hat jetzt Urlaub und keiner fragt danach, keiner prüft, was da runtergeladen worden ist, das klingt mir alles noch sehr undurchschaubar und warum er dann eben erstmal in Hongkong war und dann jetzt in Rußland. […]“

Der Vollständigkeit halber sei gesagt, dass er sich danach in dem Sinn geäußert hat, dass die daraus folgende Debatte seiner Ansicht nach sehr wichtig sei.

Zurück zu dem, was er über Edward Snowden sagte: Das scheint mir das Ergebnis einer kleinen Kampagne zu sein, die relativ kurz nach den Sensationsmeldungen kam und Snowden einerseits der Geltungssucht bezichtigte, andererseits seine Motive in Zweifel zog. Jochen Busse hat in eben derselben Diskussion darauf folgendes erwidert:

[…] Warum soll nicht – und da weiss ich doch, wenn ich schon, wenn wir uns darüber unterhalten, merke ich doch, wie mißtrauisch wir schon sind. Warum soll nicht einer mit 30 Jahren ein Gewissen haben? Warum gehen wir hin und sagen: Was ist mit dem? Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Wieso ist das ein Held? Oder wieso ist das kein Held? Also wir haben jetzt schon über die Jahre so ein Mißtrauen, wir trauen uns überhaupt nicht mehr. Und das ist das Bittere. […]

Ja. Wieso sollte er das nicht getan haben, weil er ein Gewissen hat? Welche anderen Beweggründe sollte er sonst gehabt haben?

Herr Theveßen, für Fachleute ist so etwas zwar nicht unbedingt trivial – aber machbar. Grundsätzlich gilt für Daten dasselbe wie für alle Güter: Wo etwas ist, kann es weggenommen werden. Wo eine Tür ist, kann sie geöffnet werden. Die Frage ist nicht das „ob“, sondern das „wie“ – das kann ihnen jeder Einbrecher, ja sogar jeder Polizist sagen.

Ich gehe davon aus, dass hier ein Mensch ist, der ein politisches Gewissen hat. Der es nicht mehr vor sich verantworten konnte, diese Machenschaften mitzumachen, zu unterstützen und geheim zu halten. Ein solcher Mensch ist übrigens ebenfalls ein im klassischen Sinn politischer Verfolgter und hat somit jedes Recht auf politisches Asyl. Zum Beispiel in Deutschland.

Dass ihm das verweigert wird, zeugt einerseits von der Abhängigkeit, in der sich unsere Regierenden gegenüber den USA befinden, andererseits von der Furcht, was da noch so alles ans Licht der Öffentlichkeit kommen könnte.

Ich möchte, dass Edward Snowden in Deutschland Asyl bekommen kann. Ich möchte, dass die Zusammenarbeit der Geheimdienste untereinander aufgedeckt wird. Ich möchte, dass das gesamte Ausmaß dieser Ungeheuerlichkeit bekannt wird – und ich möchte, dass das aufhört.

Am 13. Juli um 15:00 Uhr demonstrieren wir in Nürnberg. Wir möchten einen anständigen Whistleblowerschutz, wir möchten politisches Asyl für Edward Snowden. Ständig aktualisierte Informationen gibt es auf facebook. Ich bitte alle, die dies lesen: Kommt hin. Wir müssen dafür sorgen, dass Menschen geschützt werden, die uns darüber informieren, was – angeblich zu unserem Besten – gespeichert und durchsucht wird. Unbedingt!

Weiterführende Links:

Markus Lanz vom 02.07.2013
Stern: Die gefährlichste E-Mail der Welt (Zum Verständnis der Funktion von Suchalgorithmen)
Spiegel Online: Anonymisiert surfen im Web
Stern: Deutschland verweigert Snowden Asyl

Reden wir über Sicherheit

Normalerweise rede ich über Bildung, vor allem über Schule und was dort geändert gehört. Aber PRISM und Tempora sind Anlaß genug, um auch einmal über den politischen Tellerrand hinwegzublicken.

Sicherheit ist so etwas Wunderschönes. Sicherheit ist warm, wohlig, kuschelig. Sicherheit ist das, was wir alle uns wünschen, jeden Tag, zu jeder Stunde, Tag und Nacht. Unsere Kinder sollen sicher zur Schule kommen, wir möchten sicher zur Arbeit kommen und danach wollen wir alle auch sicher wieder zuhause ankommen. Sicher möchten wir sein vor bösen Menschen, die uns bedrohen, Leib und Leben in Gefahr bringen, in unsere Häuser und Wohnungen einbrechen – und auch vor denen, die Anschläge verüben, weil sie das Recht für sich in Anspruch nehmen, zu wissen, was gut für uns alle ist und auf gewalttätige Weise der Gesellschaft ihren politischen oder religiösen Stempel aufdrücken wollen. Sicher wollen wir sein vor Amokläufern, die wahllos Menschen verletzen und töten und Sicherheit brauchen wir vor Psychopathen, die in ihrem Wahn gesellschaftsschädigende Dinge tun. Davor sicher zu sein gibt ein gutes Gefühl.

Was aber, wenn wir plötzlich feststellen müssen, dass wir alle unter dem Verdacht stehen, gewalttätige Verbrecher, Attentäter oder Psychopathen zu sein? Was, wenn die Menschen, denen wir unser Vertrauen ausgesprochen haben, indem wir sie zu Volksvertretern gemacht haben, uns plötzlich ihr Vertrauen entziehen? Genau das passiert gerade.

Jeder, der telefoniert oder das Internet nutzt (oder gar das Internet zum Telefonieren nutzt!), ist verdächtig. Im Moment sind wir „nur“ den USA und Großbritannien verdächtig, aber hinter deren Projekten mit den wohlklingenden Namen „PRISM“ und „Tempora“ lauert schon die europäische Überwachungskrake INDECT. Was das bedeutet, ist den wenigsten Menschen klar – am ehesten wohl noch denjenigen, die die Vorgehensweisen des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit am eigenen Leibe erfahren haben. Ein guter Anfang, um sich ein Bild davon zu machen, ist die Geschichte von Christoph Schnauss, die er auf seiner Website erzählt.

Macht die Kontrolle der Internetnutzung und des Telefonverkehrs eines jeden Nutzers nun unsere Welt sicherer? Manch einer scheint zu denken, dass dem so sei, wie man immer wieder einmal in Kommentaren lesen kann wie dem, den ich auf facebook fand:

Auch wenn es nicht die feine Art ist abgelauscht zu werden ist mir diese westliche Art lieber als wenn ich grad im Cafe sitze und son Selbstmorddödel reinkommt und mir die Beine abreisst durch seine Bombe. Früher wars halt schöner da wurde es bestimmt auch gemacht(wahrscheinlich) nur wusste es keiner. :-)

Aber man sollte im Auge behalten, dass die Verarbeitung der Menge an Daten, die bei dieser generellen Überwachung des gesamten Datenverkehrs nur mit Methoden möglich ist, wie die, die von Suchmaschinen angewandt werden, Tücken hat. Da werden bestimmte Schlagwörter genutzt, um die anfallenden Daten nach Verdächtigem zu durchsuchen. Jeder, der jemals Google benutzte oder eine Stellenbörse, weiss, wie fehleranfällig diese Vorgehensweise ist.

Und so kann es dem Internetnutzer sehr schnell passieren, dass er, anstatt davor geschützt zu werden, dass „son Selbstmorddödel reinkommt und mir die Beine abreisst“, er selbst bezichtigt wird, ein potentieller Selbstmorddödel zu sein, wenn er für den Rezeptvorschlag, den seinem Freund für eine Geburtstagstorte mailt, die falsche Wortwahl trifft – beispielsweise „das ist eine richtige Kalorienbombe“. Er kann sich in kürzester Zeit in der Situation wiederfinden, dass er von offizieller Seite befragt wird, warum er in seinen Mails, auf Skype, in einem Forum oder in sonstigen sozialen Netzwerken von Bomben redet. Oder von irgendwelchen Substanzen, die zum Bau von Bomben taugen.

Man sollte auch im Auge behalten, dass in unserer leistungsbezogenen Welt Erfolgsquoten wichtig sind. Das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft erlaubt den Zugriff auf Passwörter zu E-Mail-Konten und sozialen Netzwerken schon bei Ordnungswidrigkeiten. Und so wäre es möglich, dass unter Erfolgsdruck geratene Ermittler mit diesen Möglichkeiten Ermittlungserfolge erzeugen. Sicher ist das strafbar; anderseits sind auch Ermittler nur Menschen und reagieren auf Druck eben auch menschlich.

Vorstellbar wäre auch (und so etwas ist durchaus schon vorgekommen), dass Ermittler aus ihrer Überzeugung heraus, einen Schuldigen vor sich zu haben, für das Beweismaterial sorgen, das benötigt wird, um den Schuldigen dingfest zu machen. Mit der Bestandsdatenauskunft ist das ein Kinderspiel.

Man verstehe mich bitte nicht falsch: Ich gehe nicht davon aus, dass unsere Ermittlungsbeamten generell zu solchen Mitteln greifen würden. Aber es ist durchaus schon vorgekommen, wenn auch in verschwindend geringer Zahl. Deswegen sollte man einerseits den Erfolgsdruck nicht erhöhen durch eine automatisierte Datensammlung, aus der alles Mögliche herausgelesen werden kann, wenn man es nur richtig anstellt und andererseits auch Möglichkeiten stark einschränken, eine Ermittlung aus der Überzeugung, die Täterschaft richtig erraten zu haben, aktiv in eben diese Richtung zu steuern.

Auch die Möglichkeit, dass auf diese Weise unbequemen und unliebsamen Meinungsäußerern beigekommen werden kann, darf man nicht übersehen. Mit den „richtigen“ Abfragemethoden und der „richtigen“ Auswertung kann man jeden Menschen aller möglichen Vorhaben beschuldigen.

Eine der wichtigsten Säulen unseres Rechtssystems ist die Unschuldsvermutung. Gegen Menschen, die keiner bösen Tat verdächtig sind, wird nicht ermittelt und jeder, der einer bösen Tat verdächtigt wird, hat als unschuldig zu gelten, bis die Schuld bewiesen ist. Und genau diese essentielle Säule unseres Rechtssystems wird jetzt ausgehölt, bis sie zusammenbricht. Was passiert, wenn plötzlich jeder verdächtig ist, wenn der Beschuldigte seine Unschuld beweisen muss und nicht der Ankläger die Schuld, das hat die Menschheit im Laufe ihrer Geschichte mehrfach deutlich gezeigt.

Die Werkzeuge, die derzeit zur Verfügung stehen, sind mächtig. Dem Einzelnen werden sie keine Sicherheit bringen, im Gegenteil. Dafür werden sie sukzessive die Prinzipien der Meinungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Informationsfreiheit, der Bildungsfreiheit – kurzum: des Menschenrechts auf Freiheit – aushebeln und uns, den Menschen, die in diesem Land leben, jede Freiheit nehmen.

Ich unterstelle denjenigen, die jetzt diese Methoden einführen und anwenden wollen, nicht, dass sie das zum Zweck der Freiheitsbeschneidung tun. Aber ich – und jeder, der im Geschichtsunterricht zumindest einigermaßen aufgepaßt hat – weiß, dass es nur einen echten Demagogen braucht, damit genau diese Gesetzgebung gegen das gesamte Volk, jeden einzelnen unbescholtenen Bürger benutzt werden kann. Sicherheit stelle ich mir anders vor.

Finden wir uns damit ab, dass es die totale Sicherheit nicht gibt. Das Leben ist lebensgefährlich. Verbrechen sind möglich und sie werden begangen. Das einzige, was uns hilft, sind Zivilcourage und Achtsamkeit zur Vorbeugung und sorgfältige Ermittlungsarbeit zur Aufklärung von Verbrechen. Computer können nicht leisten, was Menschen leisten können.

Also laßt uns auf die Straße gehen und laut werden! Laßt uns mitteilen, dass wir lieber mit der Möglichkeit leben, dass jemand eine Bombe legt als mit der Unfreiheit des Generalverdachts! Dieser Irrsinn muss ein Ende haben!